Der Traubenzuckermann
Wie versprochen geht's jetzt dem Rennsteiglauf an den Kragen. Ich werd nachher eh wieder ausschweifen, also fangen wir am Anfang kurz und knackig an. Die Stimmung war famos. Rund 5500 mehr oder minder verückte Läufer/-innen tummeln sich beim Halbmarathon in freudiger Erwartung in den Startblöcken. Volksfestatmosphäre. Mehrfach schwappt La Ola über mich hinweg und mindestens zweimal mehr wird mit voller Inbrunst der offizielle Rennsteiglauf-Song dahingeschmettert. Strahlende Gesichter um mich rum ermutigen mich zum Mitsingen. Pantomimisch versuche ich zu erklären, dass ich weder Text noch Melodie kenne. Mein munteres Mitwippen wird gebilligt - mehr nicht. Einige Sympathien gewinne ich Minuten später zurück, als ich zum Schneewalzer (kein Scherz!) zumindest mitschunkle.
Dann geht's los. Erst die Elite in den ersten beiden Blöcken. Sechs Minuten später wir in Block drei und vier. Hardcore-Streckenführung. Neun Kilometer lang geht's fast ausschließlich bergauf. Und wenn ich Berg sage, meine ich nicht etwa so einen vergrößerten Kuhfladen wie den lächerlichen Wilseder Berg, sondern semi-alpine Verhältnisse. Die erste Kilometer-Angabe erfolgt bei KM 5. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich bei knapp 32 Minuten liege - auf normaler Strecke ein Fiasko. So nimmt man's hin und kämpft weiter. "Ankommen, egal wie", denke ich und hoffe innerlich, vielleicht doch die Zwei-Stunden-Marke zu knacken. Nach acht Kilometern haben meine Mitstreiter und ich den Großen Beerberg erklommen. "Super macht ihr das. Das war die höchste Stelle. Ab jetzt geht's nur noch runter", ruft mir ein klatschender Zuschauer hinterher. In meiner jugendlichen Naivität glaube ich ihm. Mein Verstand, der vorher das Streckenprofil studiert hat, ist anderer Ansicht. Und behält recht. Tatsächlich geht es ein Stück bergab und ich muss mir viermal Mühe geben, nicht den Adler zu machen. In Schmücke kommt die erste von nur zwei (!) Versorgungsstationen. Ich entscheide mich für Wasser. Blöder Fehler. Es schmeckt wie extrem salziger Schweiß. Hätt ich auch mein Shirt auslutschen können.
Eeegal. Weiter. Durch den Wald. Stock und Stein - trallala. Entschuldigung... :o) Ein paar Kilometer wird's angenehm. Tolle Aussicht über die Täler, gerade Wege - schööön. Bis KM 14, dann kommt der Schafrichter - oder Scharfrichter? Ich weiß nicht... Dudenbesitzer, bitte kommentieren! Mit oder ohne "r", es geht richtig steil hinauf. Die Kommunikation unter den Läufern wird auf null geschraubt, jeder ist mit dem inneren Schweinehund beschäftigt und diesem übelst im Schwitzkasten ausgeliefert. So mancher wär wohl gänzlich abgeschmiert. Wenn ER nicht gekommen wäre. ER? Ja, genau, ER! Aus dem Dunkel der Nacht. Muahahaha. DER TRAUBENZUCKERMANN! Calli-gar-nicht-blöd hat sich nämlich eine Stange von dem Wundermittel in die Tasche gesteckt. Ein kluger Schachzug. Nein, Matchball, sogar! Bei jedem Anstieg eine der kleinen runden Scheiben aus der Rolle genommen und nach guter alter Hamstermanier in die Backentasche verstaut. Alle 30 Sekunden ein Stückchen abbeißen - und der Berg wird in die Knie gezwungen. Und jetzt wird's biblisch, obacht! Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Blicke der vollkommenen Überwältigung bis Glückseligkeit ihr erntet, wenn ihr einem Menschen ein Stück abgebt, noch ein aufmunterndes Lächeln und ein Zwinkern hinterherschickt. Eigenlob stinkt, ist mir bewusst, aber ich würde behaupten wollen, bei diesem Lauf mindestens sieben Menschen das Leben (wenn nicht sogar den ganzen Tag!) gerettet zu haben. Durch Traubenzucker. Der Klebstoff unserer Gesellschaft. Amen.
However... Nach dem richterlich scharfen Schaf geht's wirklich fast nur noch bergab. Da ist dann Tempo angesagt, denn es gibt ja ein Ziel zu erreichen - und ich lieg gar nicht so schlecht im Zeitplan. Zwei Stunden schaff ich, weiß ich bei KM 17, da hab ich nämlich noch massig Zeit auf der Uhr. Ab KM 20 gibt's dann noch zwei kleine, aber fiese Anstiege, an denen es gleich massenhaft Läufer/-innen zerbröselt. Da war dann aber mein glukosischer Glücksbringer leider aufgezehrt. Auf der Ziellinie dann nochmal alles gegeben - und geschafft. 1:54:41 - ein geiles Gefühl! Und mir geht's bombig danach. Nach dem ein odere anderen Kaltgetränk bin ich spontan unterwegs zur abenteuerlichen Beutelausgabe...
"Der kleine Sack hat seine Mama und seinen Papa verloren und möchte gern in der Damenunterwäscheabteilung abgeholt werden."
Hier ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt zu sehen. Im Anschluss wieder zur Getränketheke zum weiteren Befüllen der Höcker und lecker Wasser mit Lichi-Guave-Geschmack in mich reinpumpen, dann in die lange Schlange zur Urkundenausgabe, dann zur Chiprückgabe, wieder anstellen an der Urkundenausgabe, weil da ein Fehler drauf war (seit wann seh ich bitte aus wie eine "Läuferin" - nur wegen der Pumps...?). Und weiter zum Infostand, Ergebnisse gucken, die anderen Soltauer suchen, nicht finden und ab zum Gutscheineinlösen. Gab lecker Köstritzer. Nach der Hälfte waren alle Lampen an, aber das kennt ihr ja schon... :o)
Und nun noch ein Schnappschuss meiner Mitstreiter aus Soltau bzw. Neuenkirchen:
Silke, Elli, Anke, Rudi und Dorothee (von links).
Actionfotos von mir gibt's demnächst per Link. Stay tuned!
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