Dienstag, Oktober 02, 2007

G-E-S-C-H-A-F-F-T-!-!-!

Wow! Und noch mal: Wow! Nein, eigentlich trifft es WOW-WOW-WOW besser. Die 42,195 Kilometer von Berlin liegen hinter mir - und ich kann es immer noch nicht fassen. Schon gar nicht in Worte. Allein diese bislang wenig inhaltsschweren Sätze haben mich schon arges Grübeln gekostet. Und ich komme immer noch kaum weiter als über das simple WOW hinaus. Was für eine geile Nummer...!

Und ich habe so vielen Menschen zu danken, die mir dieses unvergessliche Erlebnis ermöglicht, mich immer wieder motiviert, inspiriert, gebremst und angefeuert haben. Ich bin schlichtweg überwältigt. Aber der Reihe nach...

Freitagmorgen, 5 Uhr. Mein Wecker klingelt. Vergebene Liebesmühe - ich hab eh nicht geschlafen. Ganz im Ernst: Hätte man mir in dieser Nacht angeboten, ich bräuchte nur unter irgendein Formblatt meinen Namen setzen, um zu erklären, dass ich mich vertan hab und eigentlich gar nicht laufen wollte - ich hätt's wohl getan. Der A****llerwerteste ging mir völlig auf Grundeis. Nix mit succe-piano oder smooth sailing, wie Herr Naumann eine gute Stunde später, als wir uns zusammen - nach einem emotionalen Abschied von den lieben Lieben - mit dem guten alten Christian in seine bequeme Luxusschleuder verfrachtet haben. Lampenfieber? Kennt der Mann nicht. Nerven? Hat er - aus meterdickem Stahl. So gelassen wär ich auch gern, das muss ich mir bei einem der zwei besten Kumpel der Welt noch abschauen. Wie dem auch sei - ab ins Auto und nach Christians Geburtstagsgeschenküberreichung ging's los gen Osten. Und das sogar erstaunlich reibungslos. Gut, ein Stau in knapp 3:45 Stunden, aber was ist das schon im Vergleich zu den 8 1/2 Stunden, die Rebecca & Co am Vortag vom Niederrhein aus unterwegs waren...?!

Im Berlin geht's fast direkt ab ins Hotel - große Überraschung: Gar nicht so übel, für eine Studentenkaschemme. Nach der ersten Inspektion überlassen wir den gelassenen Herrn Naumann seinen wirren E-Technik-Büchern, die offensichtlich nicht mal der Autor selbst so richtig geschnallt hat. Klang aber wohl ganz spannend und sieht auch schön kompliziert aus - da wollte sich der Verlag nicht lang zieren. Und schwupps - schon steht das an der einen oder anderen Uni auf dem Lehrplan. Armer Naumann - ich hätt schon längst flennend hingeworfen. Aber wie gesagt: Mr No-Nerves macht sie alle platt...

Während er also über dem Wirrwarr schwitzt, ziehen das weltbeste menschliche Navigationsgerät und ich gen Innenstadt, um die Route für den weiteren Tagesverlauf und die morgige Reise zum Start auszuloten. Klappt auch ziemlich locker mit Bus und Bahn, sodass wir auch noch einen klitzekleinen Abstecher zu Dunkin' Donuts unternehmen, wo ich mich allerdings pflichtbewusst beherrsche und "nur" einen Bagel esse, während ich meinem kongenialen Begleiter neidische Blicke zuwerfe und ihn dezent darauf hinweise, in welchem Bereich seiner Mundwinkel sich der Puderzucker eingenistet hat.

Danach zurück zur Butze und den Naumann in die Laufklamotten verfrachtet. 15 Minuten mit drei Steigerungen - kostet uns ein laues Arschrunzeln. Müssen aber wegen dem Lauf auf den regennassen Wegen vorsichtig sein. Überstehen das kurze Intermezzo aber verletzungsfrei. Durchatmen.

Dann in Schale werfen für die Messe. Dort zeigt sich eine beeindruckende Kulisse mit x-tausend Sportlern und mindestens ebenso vielen Anbietern, die alles, was das Läuferherz in seinen kühnsten Träumen begehren kann, verscherbeln. Schade, dass es so stickig war und wir nicht mehr Zeit hatten - hätte sehr teuer werden können... ;o)

So ergattern wir relativ zügig unsere Startunterlagen und den ganzen Pipapo wie Chip und Klamottenbeutel, ehe wir uns bei der Pastaparty den Wanst vollhauen. Hach, da muss ich jetzt auch noch schnell drauf rumreiten :o) Christian verdrückt eine halbe Portion, ich streiche nach einer die Segel - und Herr Naumann stellt den clubinternen Rekord von knapp drei Schüsseln auf. Unter bewundernden Blicken und gelegentlichem Applaus verlassen wir mehr oder minder kugelnd die Messehallen, nicht aber ohne uns bei den schicken Adidas-Mädels noch ein Anfeuerungsschild für Christian zu besorgen.

Im Anschluss geht's ab mit dem Shuttle-Bus zum Adidas-Camp am Potsdamer Platz. Nach unfassbar langer Fahrt von gefühlten drei Monaten mit zwei grenzwertigen Mädels, die uns in eine grenzwertige Unterhaltung über grenzwertige Themen verwickeln, kommen wir tatsächlich noch mal an. Also schnell raus, mit einem kurzen aber beachtlichen Zwischensprint die Kletten abgeschüttelt und rein ins Camp. Dort sichern wir uns schöne Shirts als Souvinier. Und beim Rausgehen biegen wir noch in ein Nebenzelt ab - und werden für Interviews verhaftet. Da machen wir mit, is ja Ehrensache. Christian will solange die Gegend erkunden. So lässt er uns in der "Lounge" mit netten Animationsdamen zurück, die uns mit Getränken und Schoko-Energy-Riegeln versorgen, während sie alberne Bilder von uns knipsen, uns mit einem charmanten Lächeln nett dazu überreden, einen Vertrag zu unterzeichnen, in dem wir wahrscheinlich so gut wie alle Persönlichkeitsrechte abgetreten haben oder zumindest sämtliche Einnahmen der darauffolgenden Generationen bis zum Urururgroßcousin vierten Grades. Soll mir recht sein. Schließlich werden wir noch zu einem bühnenreifen Strip gezwungen, weil auf unseren Shirts angeblich andere Sponsoren zu sehen seien - und das wär blöd vor der Videokamera. Miese Ausrede, zieht aber trotzdem. Ekstatisches Gekreische und anfeuernde Pfiffe bleiben aus unerklärlichen Gründen aus. However...

Dann isses soweit - der Naumann is als erstes dran. Während er den Leuten auf Englisch seine Beweggründe schildert, sich für diesen Irrsinn angemeldet zu haben, bleibe ich in der Lounge zurück, werbe um die Aufmerksamkeit der Animationsdamen, ernte Ignoranz und begnüge mich dann mit einer etwas schleppenden Konversation mit allerdings wirklich freundlichen Menschen aus der Dominikanischen Republik. Dann kommt mein Einsatz. Mit einer galanten Flugrolle bugsiere ich mich ins Rampenlicht einer kleinen Bühne in einem vielleicht drei mal drei Meter großen Kasten, in dem außer dem Klappenboy noch der Interviewer und fünf Techniker kauern. Wirklich Kuschelig. Dann muss ich fast schon wieder strippen, weil mit meinem Shirt immer noch was nicht stimmt. Zum Glück muss ich nur ein anderes Oberteil überziehen, dann geht's los. Fragen nach meinem Namen und meiner Herkunft beantworte ich wortgewandt und wahrheitsgemäß. Anerkennende Blicke. Und warum - zum Teufel - ich denn mitmachen würde, hä?, will der schlecht rasierte Mensch mit dem Klappbrett wissen. Ganz klare Sache, um Haile Gebreselassie zu schlagen. Schallendes Gelächter. Nee, im Ernst, Leute. Einer muss den Kenianern und Äthiopiern da vorn doch mal den Arsch versohlen, is ja wohl klar. Und wenn sich sonst keiner meldet, dann muss ich das eben machen. Eine Viertelstunde skurriles Gespräch und zahlreiche Hampelmanneinlagen weiter blicke ich auf Anforderung zum Abschluss mitten in die Kameraoptik und spreche aus unerfindlichen Gründen einen Satz im ungefähren Wortlaut, dass sich Haile warm anziehen soll - er würde meinen Staub fressen. Man verabschiedet sich trotzdem freundlich von mir. Als ich die Tür öffne, blitzt es heftig und Christian erklärt mir unter einem breiten Grinsen, dass ich diese Viertelstunde noch gehörig bereuen werde. Die Sau hat nämlich von draußen alles auf einer Leinwand gefilmt. Wer solche Freunde hat...

Also ab nach Hause und zeitig ins Bett. Nach einer ellenlangen Diskussion über die Fenster-auf-oder-zu-Frage bekommt der feine Herr Lüdtke seinen Willen und wir verbringen eine stickige Nacht inklusive Todesangst - Killerplautze Lüdtke liegt oben im Hochbett direkt über unseren Köpfen. Herrn Naumann stört's nicht, der sägt schon nach wenigen Minuten ordentlich Wald ab. Das Moppelchen steht ihm darin im Nichts nach, während ich um mein bisschen Leben bange - und die lärmenden Drecksblagen im Teenageralter von nebenan um ein Haar ein bisschen früher von ihrem Schicksal erlöst hätte. Nach gefühlten zwei Stunden Dösschlaf weckt uns der Handywecker. 5.45 Uhr, raus aus den Federn. Im Duschmarathon bleiben wir hinter unseren zeitlichen Planungen, aber das holen wir beim spärlichen Frühstück wieder rein. Danach rein in die Laufklamotten, Sachen zum Auto bringen, in die lustigen, aber vor allem warm haltenden Teletubby-Anzüge geschlüpft und ab mit dem Bus bzw. der Bahn zum Startbereich. Gleiches haben viele andere Leute mit lustigen orangenen Beuteln vor, und das, obwohl die Müllabfuhr gar keinen Betriebsausflug organisiert hat. Auf dem Weg entstehen viele ulkige Bilder, die definitiv nachgereicht werden. Nach dem beinahe tränenreichen Abschied von Christian vermittelt Herr Naumann auf dem Weg zur Beutelabgabe sowas wie den Hauch von Nervosität - Erleichterung: Es läuft also doch ein menschliches Wesen neben mir ;o)

Der Toilettenstopp verläuft mangels Klopapier eher besorgniserregend - aber Schwamm drüber (nein, so ist's nicht gemeint - der wurde natürlich nicht zweckentfremdet). Wasserstation gibt's auch nicht. Also noch mal zurück zum Beutel und zwei, drei Schlückchen Saft getankt. Dann in den Startblock. Schockschwere Not: Wo kommen all die Leute her? Die komplette Weltbevölkerung scheint sich auf unserem Zubringer zur Startlinie versammelt zu haben. Darunter ein freundlicher Nürnberger, mit dem wir kurz ins Gespräch kommen. Dann ist warten angesagt. Lange warten. Dann wollen wir aber doch noch ein wenig weiter nach vorn und legen glücklicherweise einen erfolgreicheren Last-Minute-Toilettenstopp ein, bevor uns noch ein Österreicher nach kurzem Erfahrungsaustausch viel Glück wünscht, was wir freundlich erwidern, ehe wir die Teletubby-Kostüme entsorgen. Und dann geht's auch schon los.

So gegen 9.25 Uhr überqueren wir die Startlinie auf der Straße des 17. Juni - und umgehend meldet sich die Gänsehaut zu Wort. So viele Menschen in Laufklamotten - so viele hinter den Banden. Ein geiles Gefühl. An der Siegessäule geht's trotzdem noch eher schleppend voran, weil so unfassbar viele Menschen unterwegs sind, dass kaum ein Durchkommen ist. Kurz vor dem Ernst-Reuter-Platz, also zirka bei KM 2 dann der absolute Supergau: Christiane steht am Wegrand und feuert uns an. Sie drückt mich kurz, scheucht mich dann aber weiter. An laufen ist die nächsten drei KM nicht zu denken - ich fliege. Hab mich so gefreut, dass ich fast ein Tränchen verdrücken musste - der absolute Hammer. Was für eine geile Aktion. Kann es immer noch nicht fassen, als wir Alt-Moabit langjuckeln und wir Ausschau nach Katja halten. Aber Fehlanzeige. Ich werde später gerügt, sie hätte sich wegen mir a) zu einer gotteslästernden Zeit aus dem Bett quälen müssen und b) den Hals verrenkt und das c) für nix und wieder nix. Tut mir leid, hätte gern gewunken - aber wo kein freundliches Gewicht, da kein Handwedeln. Deutlich mehr Glück hat wenig später Christian, der uns zwischen KM 7 und 8 frenetisch jubelnd vorantreibt. Wieder Endorphinausstoß bis Meppen - aber wir müssen leider viel zu schnell wieder los.

So geht es weiter über die Otto-von-Bismarck-Straße gen Osten. Uns geht's gut, aber das Zusammenbleiben erweist sich als schwierig. Zwar meistern wir die ersten beiden Getränkestationen spektakulär unspektakulär, aber unsere Tempovorstellungen gehen nicht ganz konform - und der weltbeste Mitmarathonläufer aller Zeiten ist vom "ewigen Slalomlaufen" angenervt. Also schickt er mich zwischen KM 12 und 13 auf Höhe der Heinrich-Heine-Straße weg. Ich hätte schwören können, dass wir uns noch vor der Ziellinie wiedersehen würden, aber diese Hoffnung blieb leider unerfüllt.

Die folgenden KM vergehen wie im Flug. Es gibt im Zeitplan rund eine Minute aufzuholen und ich lasse mich von der Atmosphäre entlang der Strecke problemlos durch den Ostteil der schönsten aller Hauptstädte tragen. Beim Südstern treffe ich wieder einen strahlenden und jubelnden Christian und teile ihm kurz und bündig mit, dass Torben gleich kommen wird. Das Adrenalin treibt mich weiter, sodass ich auf der Gneisenaustraße bei KM 18/19 zirka zwei Minuten "Guthaben" im Zeitplan habe. Dann treffe ich zufällig wieder auf den Nürnberger von vor dem Start. Wir wechseln ein paar aufmunternde Worte, dann verabschiede ich mich mit den besten Wünschen.

Doch dann der große Schock: Beim KM 20 (Goebenstraße) zuckt es einmal kurz im linken Oberschenkel. What the f*** war das? Ich merke, wie Panik in mir aufsteigt. Dann wieder: Ein kurzes Ziehen, genau an der gleichen Stelle, hinten, zirka zehn Zentimeter über der Kniekehle. Verdammte *#!-, wenn ich jetzt verletzt abbrechen muss, war alles umsonst. Mit sorgenvoller Miene lasse ich es etwas lockerer angehen, doch die Abstände zwischen dem Ziehen im Oberschenkel werden immer kürzer. Dann kommt die Rettung: Ein Versorgungspunkt. Ich bremse ab und gönne mir langsam weitergehend einen Becher Wasser. Erstmals greife ich auch zu dem isotonischen Getränk Basica (ja, für die werbe ich jetzt gern aus gutem Grund). Durch das, bilde ich mir zumindest ein, ist es wieder weggegangen. Kurz darauf passiere ich wie wundergeheilt, aber immer noch etwas skeptisch die Halbmarathon-Marke. Um es vorwegzunehmen: Der Oberschenkel hat danach auch keine Mucken mehr gemacht. Zum Glück. Wäre das bis KM 22 nicht besser geworden, hätte ich wohl oder übel das Handtuch werfen müssen.

Die nächsten KM im Westen fliegen geradezu an mir vorbei. Per Durchsage erfahre ich, dass Haile den Weltrekord gebrochen hat. 2:04 Stunden und ein paar mickrige Sekunden - einfach unfassbar! Kein Wunder, wenn er mich doch als Pacemaker hatte... Beflügelt von seinem Triumph, traue ich mich auch wieder, etwas auf das Tempo zu drücken - und habe bei KM 30 fünf Minuten "Guthaben" im Zeitplan. Und das, obwohl mir der nächste "Motivationspunkt", auf den ich mich gefreut habe, verwehrt bleibt: Rebecca und ihre Leute sind auf der Schmiljanstraße leider nicht zu entdecken, da sie am Vorabend zu viel gefeiert und es deshalb nicht zum Lauf geschafft haben. Schade, hätte mich gefreut. Trotzdem breche ich noch nicht ein (auch weil die Zuschauer da so richtig geil drauf waren; in diesem Zusammenhang schicke ich Grüße an den witzigen Kerl mit dem Bier-Plakat, auf dem darüber die vielsagenden Worte "nur noch 14 KM bis..." und dann ein Pfeil nach unten auf die prall gefüllte Maß mit perfekter Blume standen). Denn da der Zeitplan fortan eine etwas gemäßigtere Geschwindigkeit vorsah, hab ich mir vorgenommen, diesen Vorsprung in der Folge so lange wie möglich "nur verwalten" zu wollen, ohne weiter auf die Tube zu drücken. Glücklicherweise erweist sich diese Idee als goldrichtig: Bis KM 35 - auch dank eines weiteren, wenn auch superkurzen Wiedersehens mit Christiane - geht's mir galore, dann baue ich merklich ab. Erstaunlicherweise aber nur im Kopf. Denn mein Vorsprung schmilzt erst leicht ab KM 38 auf der Leipziger Straße, die mir ewig erscheint (Christian hat da irgendwo ein grauenvolles Bild von mir geschossen. Ich sehe klinisch tot aus. So ähnlich hab ich mich auch gefühlt.). "Du musst nur bis KM 39 kommen, die letzten drei gehen von allein", muntere ich mich einer Läuferweisheit vertrauend mehrfach auf. Und es wirkt - in Zusammenarbeit mit den Zuschauern. Die geniale Stimmung entlang des Ku'damms, der Tauentzien- und Potsdamer Straße zum Potsdamer Platz hat definitiv dafür gesorgt, dass ich nicht wirklich langsamer wurde.

Dann aber muss ich merklich Tribut zollen und ich sehne die KM-Angaben von mal zu mal immer heftiger herbei. "Quäl dich, du Sau. Da vorn noch um die Kurve, dann biste gleich da", denke ich keuchend kurz vor dem Einbiegen auf die Gertraudenstraße. Doch die Strecke zieht sich wie Kaugummi und zahlreiche Läufer an mir vorbei. Sollen sie nur, denke ich bei mir. Du willst eh nur ankommen - und das schaffst du auf alle Fälle. Doch die Vier-Stunden-Schallmauer will ich ja jetzt, wo ich so kurz vor dem Ziel bin und die Gelegenheit günstig ist, auch noch durchbrechen. Also kämpfe ich verbissen gegen die verlockende Vorstellung, eine Gehminute einzulegen an, und quäle mich schleppenden Laufschrittes weiter voran. Als ich auf die Straße Unter den Linden ankomme und in der Ferne das Brandenburger Tor sehe, weiß ich, dass ich es schaffe. Ein erstes Lächeln - das erste nach mindestens 20 KM - zeichnet sich auf meinen Lippen ab.

"Entspann dich Alter", spreche ich mir selbst gut zu, "gleich ist es geschafft." Und mit der Kraft der zweiten Luft richte ich mich noch einmal aus meiner mittlerweile miserablen Körperhaltung (Jupp Mayer wär echt sauer gewesen!) auf und eile etwas lockerer dem Brandenburger Tor entgegen. Auf dem Weg passiere ich einige "Spaziergänger", denen es nicht mehr ganz so gut geht. Im Vorbeilaufen lege ich ihnen eine Hand auf die Schulter und recke aufmunternd die geballte Faust gen Berliner Mittagshimmel, schenke ihnen ein aufmunterndes Lächeln und deute auf das nahe Ziel. Man dankt es mir mit einem gequälten Lächeln und wir fühlen uns beide spontan wieder ein Stückchen besser. Das ist Mitgefühl, das ist gelebtes Miteinander - das ist Marathon.

Kurz vor dem Brandenburger Tor checke ich die Uhr - alles optimal - also wage ich einen längeren Schulterblick nach hinten. Wo ist der Naumann? Müsste doch gleich um die Ecke biegen, um mit mir zusammen über die Ziellinie zu tigern. Ich nehme mir noch 30 Sekunden zur Ausschau, dann reiße ich unter dem Jubel einiger dänischer Zuschauer wieder die geballte Faust in den Himmel und durchlaufe inklusive intensivem Erpelanzug das beeindruckende Monument. Noch 300 Meter, quasi fünfmal lang hinschlagen und man ist da, ein unbeschreibliches Gefühl. "Jetzt vielleicht doch noch einmal Samba tanzen?", überlege ich kurz, verwerfe den Gedanken dann aber. "Mach jetzt bloß keinen Blödsinn mehr." Ich glaube, Christiane wird mir zustimmen :o)

Dann die Ziellinie - die erste in Berlin, an die ich mich erinnere - mit ihrem nervtötenden Fiepen. GESCHAFFT! GESCHAFFT! Ja wie geil ist das denn? GESCHAFFT! Meine Uhr stoppe ich bei 3:57 Stunden - der absolute Hammer. Ich möchte die Welt umarmen, scheitere aber aus physikalischen Gründen. Für den/die eine/n oder andere/n Läufer/in reicht es aber und wir liegen uns klitschnass, schweißbenebelt, aber trotzdem jubelnd in den Armen. Mit zittrigen Schritten wanke ich der Folienausgabe entgegen und hülle mich in das knallgelbe Adidas-Accessoire, das auch prompt seinen Dienst verrichtet und meine Körpertemperatur vor dem rapiden Abfall bewahrt. Die Medaillenfrau empfängt mich mit einem breiten Grinsen und hängt mir den Silberling würdevoll um den Hals. "Herzlichen Glückwunsch, Maximilian." Ja, zugegeben, danach hab ich sie geknutscht. Was dagegen?

Doch diese Liaison beende ich ebenso schnell, wie sie begonnen hatte. Die nächsten Kilometer im Zielbereich verlebe ich wie in Trance. Erst hole ich mir meinen Versorgungsbeutel, dann pfeife ich mir den darin enthaltenen Schokoriegel rein, um mich wieder aufzupäppeln. Mit meiner Ausrüstung parke ich mich danach am Wegrand, um meinen Chip vom Schnürsenkel zu pulen. Es gelingt mir nach einiger Kraftanstrengung. Also weg mit dem gelben Ding und weiter in Richtung Duschen. Ich passiere das Schild, das auf den Massagebereich hinweist, verwerfe den Gedanken aber vorerst, weil ich erst noch unter das kühle Nass springen will. Vor dem Duschzelt tausche ich bei einer netten Dame einen Euro gegen die Erlaubnis, mit ihrem Handy kurz zu Hause anrufen zu dürfen: Familie = selig = hurra! Dann ab unter den Wasserhahn und nach einigen fachmännischen Läufergesprächen weiter zur Family Reuniting, wo wir Christian beim Buchstaben Y treffen wollten (Massage hab ich völlig vergessen). Laut "Rocking All Over The World" singend, treffe ich dort ein, umkurve gazellengleich mehrfach den Baum mit dem vorletzten Buchstaben des Alphabets - aber vom weltbesten Dreimal-auf-der-Marathonstrecke-Motivationskünstler ist nichts zu sehen. Also vier Mädels angeschnackt und wieder mit dem Euro gewedelt, doch ich darf umsonst ran (ans Telefon).

Kurz darauf liegen wir uns (Christian und ich, ohne die Mädels) feiernd in den Armen und warten auf Torben. Weil wir uns Sorgen machen, bewegen wir uns in Richtung DRK-Info-Mobil. Doch nach wenigen Minuten kommt uns ein frisch anmutender Herr Naumann entgegen und es gibt natürlich wieder ein großes Hallo. Gemeinsam tauschen wir unsere Lauf- und Begleitererfahrungen aus, während wir den Stand mit den Soforturkunden ansteuern. Dort wird es amtlich: Torben hat Berlin in 4:17 gerockt und bei mir stehen 3:56 auf dem Zettel. Wir belohnen uns mit Finisher-Shirts und steuern dann glücklich die Heimreise an.

WAS FÜR EINE HAMMERGEILE NUMMER!
Ich kann es nicht oft genug sagen: DANKE!!!

Vornweg an Anke und Rudi, die unfassbares geleistet haben, um aus mir einen waschechten Marathoni zu formen. Das werde ich euch nie vergessen. Ich freue mich schon auf unsere nächste Runde :o)

Dann an den Naumann, der sich als steter Quell der Inspiration erwiesen hat und mit dem ich in Berlin fast Seite an Seite 13 schöne Kilometer und im Herzen 42,195 Kilometer gerannt bin, was das Zeug hält. Alter, wir haben Berlin sowas von gerockt! :o)

Ein Riesenlob an den Motivationskünstler Christian, der es durch sein unermüdliches Engagement dreimal geschafft hat, mir während des Laufs nicht nur ein Lächeln auf die Lippen, sondern vor allem ein gutes Gefühl in die Magengegend zu zaubern. Du warst an diesem Wochenende unser Fels in der Brandung und hast dir deine Medaille redlich verdient. Vor deiner Leistung verneige ich mich zutiefst.

Nicht zu vergessen: Christiane, das verrückte Huhn! Fährt einfach mal so spontan nach Berlin, nur um dabei zuzuschauen, wie ich mich über 42 Kilometer quäle. Das lässt ja schon sadistische Züge erahnen... ;o) Nein, im Ernst: Das war einfach unglaublich lieb von dir und hat mir unheimlich weitergeholfen.

Und natürlich noch ein abschließendes DANKE an meine liebe Familie und alle Daumendrücker, ohne die ich es wirklich nicht geschafft habe. Ich habe auf den letzten, quälenden Kilometern immer wieder an die oben bereits Genannten und euch alle gedacht, um mich voranzutreiben. Alle kann ich hier nicht aufzählen, ich würde nur Gefahr laufen, bei unzählbar vielen wichtigen Menschen in meinem Leben irgendjemanden unabsichtlich zu vergessen - und das wäre unverzeilich.

Fühlt euch umarmt und gedrückt von einem überglücklichen, aber jetzt todmüde ins Bett fallenden
Max :o)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Alter Schwede,

ich bin zutiefst beeindruckt und begebe mich auf meine jämmerliche halbe Stunde rumjoggen - in Demut.